Health workforce across European Countries
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Ungleiche Lebenserwartung in Bayern: Healthy-Migrant-Effekt?

Unequal life expectancy in Bavaria: Healthy-migrant-effect?

Der Freistaat Bayern nimmt bei Ländervergleichen der Lebenserwartung regelmäßig eine relativ günstige Position ein, wobei die Ungleichheiten im Lande aber recht deutlich sind.
Die Analyse der regionalen Ungleichheiten in der Sterblichkeit und der Wanderung zeigt, dass eine hohe Abwanderung mit einer niedrigen Lebenserwartung einhergeht. Sind die Abwanderer gesünder als die Daheimgebliebenen? Wie lässt sich die Abwanderung stoppen und welche Herausforderungen ergeben sich für die Gesundheitspolitik?
Bavaria has a relatively high life expectancy as compared to other German Länder. The health equity of the Bavarian regions, however, is modest.
The analysis of the regional variations of equity and migration shows that a high emigration is associated with a low life expectancy. Are the emigrants healthier than the residents? How to stop emigration and what are the challenges for health policy?

Ausgangslage

BASYS beobachtet seit längerem die Entwicklung der Lebenserwartung in unterschiedlichen Gebieten Bayerns. Trotz der allgemein positiven Situation Bayerns weist Bayern in einzelnen Kreisen eine deutlich unterdurchschnittliche Lebenserwartung auf. In den Kreisen Baden-Württembergs liegt die Lebenserwartung in der Regel deutlich höher.

Es stellt sich heraus, dass Kreise mit einem negativen Gesamtwanderungssaldo, also einer Abwanderung der Bevölkerung, eine unterdurchschnittliche Lebenserwartung aufweisen. Das Streudiagramm zeigt den Zusammenhang am Beispiel der Lebenserwartung der Männer und der wanderungsbezogenen Bevölkerungsveränderung auf Kreisebene für Westdeutschland [1] im Zeitraum 1995 bis 2014 (vgl. Abb. 1). Es wird dort deutlich, dass die kreisfreie Stadt Hof sowie die kreisfreie Stadt Pirmasens sowohl bei der Lebenserwartung als auch bei der Abwanderung eine deutliche Ausnahmestellung einnehmen. In der kreisfreien Stadt Hof liegt die Lebenserwartung beispielsweise 3 Jahre unter dem bayerischen Durchschnitt. Einer durchschnittlichen Abwanderung von einem Prozent steht eine geringere Lebenserwartung von einem Monat gegenüber.

Die Abwanderung kann nicht allein verantwortlich für die geringe Lebenserwartung sein, da viele Kreise eine geringe Lebenserwartung aufweisen und dennoch eine hohe Zuwanderung erfahren (vgl. z. B. kreisfreie Stadt Straubing in Abb. 1). Es existiert jedoch nicht nur in Bayern, sondern auch im restlichen westlichen Bundesgebiet kaum ein Kreis mit Abwanderung und überdurchschnittlicher Lebenserwartung (vgl. Quadrant oben links in Abb. 1).

Abwanderung und Lebenserwartung im Westen Deutschlands nach Kreisen

Healthy-Migrant-Effekt

Wir führen die ungünstige Position der Abwanderungsgebiete hinsichtlich ihrer Lebenserwartung hauptsächlich auf einen Selbstselektionseffekt zurück: Vermittelt durch die individuelle Gesundheitszuversicht wandern in erster Linie Bevölkerungsteile mit hoher subjektiver Gesundheit ab, während Bevölkerungsteile mit weniger Gesundheitszuversicht ortsfest bleiben. Sowohl Hof als auch Pirmasens zeigen eine langjährige Abwanderung. Im Falle von Hof betrifft dies 16 der letzten 20 Jahre, im Falle von Pirmasens sogar 18.

Diesem sogenannten „Healthy-Migrant-Effekt“ steht zwangsläufig ein inverser Effekt für die verbleibende Bevölkerung entgegen, der umso größer sein muss, je kleiner diese ist und je länger die Abwanderung dauert. Insofern ergänzt die Positionierung des Landkreises Wunsiedel mit etwas über 70.000 Einwohnern im Streudiagramm den Befund.

Die genannten Kreise weisen relativ kleine Bevölkerungen auf. Ein entsprechender Zusammenhang ist plausibel, da sich eine Abwanderung gesunder Bevölkerungsteile in kleineren Kreisen schneller und deutlicher in den Daten bemerkbar macht.

Ursachen

Abwanderungsgebiete lassen im Allgemeinen Beschäftigungsprobleme erkennen: Im Falle von Pirmasens durch den Niedergang der Schuhindustrie, im Falle von Hof und Wunsiedel durch die ungünstige Randlage. Gesundheitsökonomisch bedeutet dies, dass Abwanderungsgebiete nicht nur per se mit ungünstigen Wirtschaftsbedingungen zu kämpfen haben, sondern zusätzlich damit, bei längerem Persistieren der Problemlagen Gesundheitskapital zu verlieren.

Das Gesundheitskapital jedoch ist die Grundlage für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Region [2]. Ein Land ohne Gesundheitskapital ist wie ein Land ohne Wasser. Wie bei allen Vermögenswerten benötigt es Zeit, um Gesundheitskapital aufzubauen. Umso gravierender wiegt ein Schwund für die betroffenen Kreise.

Daten

Grundlage der Berechnungen sind die vom Bayerischen Landesamt für Statistik veröffentlichten Zahlen zur Bevölkerung und zu den Todesursachen in der Datenbank GENESIS [3]. Zusätzlich wurden mittels der INKAR-Datenbank [4] die Lebenserwartung sowie die Ortstreue der Bevölkerung in der Kreiseinteilung untersucht. Eine differenziertere Betrachtung nach Alter und Todesursachen war nicht möglich.

Ausblick

Bayern versucht der Abwanderung durch verschiedene strukturelle Maßnahmen entgegen zu wirken. Offenbar haben diese bisher nur teilweise gegriffen. Die Sicherung des regionalen Gesundheitskapitals erfordert eine umfassendere Betrachtung, um die tatsächlichen Folgen eines derartigen Abflusses in industrialisierten Regionen ermessen zu können. Die gesundheitliche Daseinsvorsorge, Bildung, Verkehrsanbindung und wirtschaftliche Entwicklung sind dabei offensichtliche Einflussfaktoren [5].

Referenzen

[1] Die ostdeutschen Länder wurden wegen der hohen Abwanderung nicht einbezogen.

[2] Schneider, Hofmann, Köse, Krauss, Brecht (2015), Die Bedeutung der Prävention und Gesundheitsforderung für die wirtschaftliche Entwicklung Baden-Württembergs, Studie gefördert durch das Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren Baden-Württemberg und die Robert Bosch Stiftung, BASYS, Augsburg.

[3] https://www.statistikdaten.bayern.de/genesis/online/; zuletzt abgerufen am 30.06.2017.

[4] http://inkar.de/; zuletzt abgerufen am 30.06.2017.

[5] Vgl. u.a. Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, für Landesentwicklung und Heimat (2016), Heimatbericht 2016, München und Dudek, Kallert (2017) Gleichwertige Lebensverhältnisse in Bayern, Hrsg. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin.


Autoren
Josef Georg Brecht, Thomas Krauss, Markus Schneider

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